Sprachen lernen
Der Alte hat den Tod vor Augen,
der Junge hinter dem Rücken.
(Estnisches Sprichwort)



Estnische Sprache

Estnisch (Eigenbezeichnung: eesti keel) ist eine flektierend-agglutinierende Sprache und gehört zur Gruppe der Finno-Ugrischen Sprachen. Es ist entfernt mit dem Ungarischen und eng mit dem Finnischen verwandt. Man unterscheidet drei Hauptdialekte: Nordestnisch (gesprochen in Tallinn sowie in weiten Teilen Estlands), Südestnisch (südlich von Tartu, Dorpat) und der Nordostküstendialekt (östlich von Tallinn entlang der Küste bis zur Grenzstadt Narva). Durch die geringe Anzahl der Sprechenden sind viele Dialekte wie z. B. Mulgi oder Tartu, welche dem Südestnischen Dialekt zugeordnet werden, vom Aussterben bedroht. Aufgrund der Ähnlichkeit verstehen die meisten Esten das Finnische, wenn auch die Wörter des jeweils anderen oft fremd vorkommen. Gesprochen wird Estnisch von etwa 1 100 000 Menschen, von denen etwa 950 000 in Estland leben.

Alphabet

Das estnische Alphabet verwendet die folgenden Buchstaben:
a, b, c, d, e, f, g, h, i, j, k, l, m, n, o, p, q, r, s, š, z, ž, t, u, v, w, õ, ä, ö, ü, x, y
Wobei die Buchstaben c, f, š, z, ž, q, w, x und y nur selten, entweder in Fremdw&ouuml;rtern oder fremden Namensgebungen vorkommen. Die Vokale a, e, i, o, u, ü, ä, ö und õ können alle in der ersten Silbe des Wortes vorkommen, in der zweiten sind aber nur noch die Vokale a, e, i und u möglich. Wörter, die mit den Buchstaben g, b oder d beginnen, sind Fremdwörter.

Estland

Aussprache

In estnischen Wörtern wird grundsätzlich die erste Silbe betont. Es gibt aber wie in jeder Sprache Ausnahmen (vor allem Fremdwörter, aber auch estnische aitäh! - danke!)

Für die Vermutung, das "ö" stämme aus dem Russischen, spricht seine größere Häufigkeit in den südlichen Dialekten und sein Fehlen auf Saaremaa. Genauer gesagt handelte es sich um ein leicht abgewandeltes "ы", das ziemlich tief in der Kehle gebildet wird und in etwa so klingt wie das um Bewusstsein ringende "Öh" in "Öh, muss das sein?" oder "Öh, weiß nicht ..."

Ähnlich wie einige romanische Sprachen (Spanisch, Französisch) mag das Estnische das "st" am Wortanfang nicht, aber anstatt ein "e" davor zu stellen oder das "s" durch ein "e" zu ersetzen, fällt das "s" im Estnischen einfach weg. Beispiele. tool (ndd. Stohl), tikk (eng. stick), tudeng (Student), torm (ndd. Storm). Diese Eigenschaft ist aber nicht mehr ausschließend: wegen des indoeuropäischen Einflusses fällt das "s" in den neueren Lehnwörtern nicht weg (z. B. staadion, staap usw).

Ähnliche Voreingenommenheit zeigt das Estnische auch gegen "b", "d" und "g" am Wortanfang, welche zu "p", "t" und "k" werden.
Beispiele. pruukima (ndd. bruken), püksid (ndd. Büx), piljard (Billard), kips (Gips).

Außer diesen Einschränkungen am Wortanfang wurde fr¨her noch das "f" in ein "hv" (gesprochen: chw) umgewandelt. Zeugnis davon geben z. B. "krahv" (Graf) und "kohv" (eng. coffee). Beispielsweise wird die hv-Kombination aber gegenwärtig oft [f] ausgesprochen (was aber offiziell nicht akzeptiert wird).

Daneben gibt es auch noch "freiere" Adaptionen, so z. B. "rand" (Strand) und "särk" (eng. shirt).

Grammatik

Das Estnische kennt keine grammatischen Geschlechter. In der dritten Person wird tema (Kurzform: ta) verwendet, expressis verbis: "er" und "sie" werden nicht unterschieden.

Eine Besonderheit der estnischen Sprache, jedenfalls für deutsche Muttersprachler, ist ihre Art zu verneinen. Wie es so schön in dem herangezogenen Artikel heißt: "Für die Negation kommt es auf den Inhalt der Aussage an. Sprachlich kann der Inhalt unterschiedlich realisiert werden [...]"" Gemeint ist damit im Falle des Estnischen, dass eine Verneinung von Begriffen unmöglich ist und nur ganze Sätze verneint werden können. Estnisch ist eine Aussagen verneinende Sprache, Deutsch eine Begriffe verneinende. Um das etwas zu klarer werden zu lassen, im Deutschen ist es möglich zu jedem Begriff, als Beispiele seien hier "schwarz", "interessieren" und "Bär" genannt, einen komplementären Begriff zu bilden, hier also "nicht-schwarz", "nicht-interessieren" und "nicht-Bär", wobei allerdings im letzteren Falle "kein-Bär" verwendet wird. "nicht-schwarz" könnte z. B. auch "lichtern" heißen. Die Annahme, dass "nicht-schwarz" nur in einem Satzganzen eine Bedeutung hätte, ist also falsch. "nicht-interessieren" besitzt sogar schon in "ignorieren" eine ziemlich genaue Entsprechung. Allerdings muss man bei der Verwendung von "kein" unterscheiden, ob "Bär" als Prädikat gebraucht wird oder nicht, denn nur wenn das der Fall ist, kann man einen sinnvollen komplementären Begriff bilden, also z. B. in der Aussage "Flipper ist kein-Bär." Falls "Ein Bär" hingegen Subjekt oder nicht-prädikatives Objekt des Satzes ist, so muss man das vorangehende Verb, im Falle des Objekts, oder ein hinzugedachtes "es gibt", im Falle des Subjekts, begriffsnegieren.

Beispiel. Ein Bär ist ¨ber die Straße gelaufen. <=> Es gibt einen Bären, der über die Straße gelaufen ist. Nun wird "geben" verneint. Es nicht-gibt einen (oder mehrere) Bären, der über die Straße gelaufen ist. <=> Kein Bär ist über die Straße gelaufen.

Im Estnischen gibt es kein Wort und auch keine Vorstellung von "kein". Es gibt zwar ein Wort für "nicht" (mitte), das dient aber traditionell nur der doppelten Verneinung, und wenngleich diese Praxis heutzutage langsam verschwindet, kann man "mitte" doch in keinem anderen Sinne verwenden, weshalb es im Estnischen kaum mehr gebraucht wird und wenn, dann in unvollständigen Sätzen wie "Mitte nii!" (Nicht so!)

Härter als das effektive Fehlen von "nicht" trifft einen freilich das Fehlen von "kein". Anstatt "Das interessiert doch keinen!" muss es also "Das interessiert doch irgendeinen: falsch!" heißen, wobei das "falsch" in Form eines "ei" im Estnischen allerdings an das Verb gebunden wird, was den deutschen Muttersprachler gefahrlaufen lässt, den Satz als "Das interessiert doch irgendeinen nicht."" misszuverstehen: In der ersten Variante interessiert es keinen, während es in der zweiten nur irgendeinen geben muss, den es nicht interessiert. Ähnlich schlimm ist um Aussagen wie "Das gibt es nirgendwo!" und "Sowas passiert nie!" bestellt. Die Näherungen müssen hier aber wohl nicht mehr ausgeführt werden.

Eine weitere Besonderheit der Verneinung im Estnischen ist die Verwendung des Verbstammes anstatt der finiten Formen, es heißt zum Beispiel schlicht "Ei saa!" (wörtlich: Nicht können unter den gegebenen Umständen), wobei es völlig unklar ist, wer da etwas nicht kann unter den gegebenen Umständen. Das gibt es im Deutschen in Form von "Geht nicht!"" zwar auch, im Estnischen ist dieser Stand der Dinge aber allen Verneinungen gemein.

Deklination der Substantive

Ähnlich der finnischen Grammatik unterscheidet man im Estnischen 14 Fälle. Die estnische Sprache ist dabei aber weder eine Ergativ- noch eine Akkusativsprache, kennt also keinen der folgenden Fälle: Ergativ, Absolutiv und Akkusativ. In der Tat spielen die estnischen Fälle, so viele es auch sind, für die Auszeichnung von Agens und Patiens keinerlei Rolle, dieselbe wird alleine durch die Wortstellung und die Verbform bewerkstelligt.

Transitiv gebrauchte transitive Verben bereiten naturgemäß die kleinsten Probleme, die Reihenfolge lautet hier: Agens Verb Patiens. Intransitiv gebrauchte transitive Verben werden in der Grundform elliptisch, also auf einen obliquen Patiens bezüglich, verstanden. Um das involvierte Substantiv selbst zum Patiens zu machen, es sozusagen in den Absolutiv zu setzen, wird der Verbstamm um "-u" erweitert.

Beispiel. muutma (ändern): ta muudab (er/sie/es ändert (irgendetwas)), ta muutub (er/sie/es ändert (sich)).

Ursprünglich intransitive Verben werden "absolutiv" verstanden, das dem Verb vorangehende Sustantiv ist also der Patiens. Diese können indes "transitiviert" werden, mit der Bedeutung, dass irgendetwas dazu veranlasst wird, eine bestimmte Handlung zu vollführen und anschließend wieder elliptisch gebraucht werden. Diese "Transitivierung" geschieht durch eine Erweiterung des Verbstammes um "-ta", wodurch im Estnischen der Kausativ gebildet wird.

Beispiel. langema ((im Krieg) fallen): ta langeb (er/sie/es fällt (im Krieg)), ta langetab (er/sie/es fällt (irgendetwas, aber vermutlich einen Baum, einen Helden oder einen Drachen)).

Schließlich besitzt das Estnische auch noch die Möglichkeit, mit Hilfe von "ise" (selbst) reflexive Konstruktionen nachzubilden.

Beispiel. Ma küsin endalt. (Ich frage mich.)

Bei dieser quasireflexiven Konstruktion liegt indes der Verdacht nahe, dass es sich dabei um einen Germanismus handelt, denn die zuvor beschriebene Sprachkonzeption zur Auszeichnung von Agens und Patiens kommt offensichtlich ohne reflexive Konstruktionen und Passivformen aus und ist in diesem Sinne als "ergativ gedacht" zu bezeichnen. Wenn dergleichen aber trotzdem im Estnischen anzutreffen sind, so ist die naheliegendste Erklärung dafür wohl die, dass die Sprache in den Jahrhunderten indogermanischer (insb. deutscher) Vorherrschaft in Estland ihrer Grundkonzeption zuwider weiterentwickelt wurde.

Nominativ: maja (Haus), majad (Häuser), kool (Schule), koolid (Schulen)
Genitiv: maja (des Hauses), majade (der Häuser), kooli (der Schule), koolide (der Schulen)
Partitiv: maja, majasid/maju, kooli, koolisid/koole
Illativ: majasse/majja, majadesse, kooli/koolisse (in die Schule), koolidesse (in die Schulen)
Inessiv: majas, majades, koolis (in der Schule), koolides (in den Schulen)

Eine kleine Warnung zum Inessiv. Gewöhnlich liest man davon, dass derselbe im Gegensatz zum Adessiv dann gebraucht werde, wenn etwas sich nicht an einer Seite von etwas, sondern in seinem Inneren befindet. Das stimmt aber so schlichtweg nicht. Der Inessiv ähnelt sehr der Verwendung der Präposition "in" im Deutschen, und von der gilt das vorige im Gegensatz zur Präposition "an" auch keineswegs. Beispiel: "Ah, Günther ist wieder im Land."" Was ja nicht heißt, dass Günther in der Erde steckte. Insbesondere fällt im Estnischen der Schnee ins und nicht aufs Land. Die Regel, soweit man davon sprechen kann, ist hier, dass Dinge, die nur in einem übertragenen Sinn ein Inneres haben, mit dem Adessiv gebraucht werden, z. B. an der Arbeit sein, und Dinge, die n-dimensional ausgedehnt gedacht werden, den Inessiv für ihr n-dimensional Inneres und den Adessiv für ihren (n-1)-dimensionalen Rand nach sich ziehen, wobei n aus {1,2,3}.

Allerdings befolgt das Estnische diese Regel flächiger als das Deutsche, was zu für deutsche Ohren geradezu absonderlichen Wendungen führt, wie z. B. den Handschuh in die Hand zu ziehen, das Hemd in den Rücken und die Mütze in den Kopf!

Elativ: majast, majadest, koolist (aus der Schule), koolidest (aus den Schulen)
Abessiv: majata, majadeta, koolita (ohne Schule), koolideta (ohne Schulen)
Adessiv: majal, majadel, koolil (auf der Schule), koolidel (auf den Schulen)
Ablativ: majalt, majadelt, koolilt (von der Schule), koolidelt (von den Schulen)
Allativ: majale, majadele, koolile (auf die Schule), koolidele (auf die Schulen)
Essiv: majana (als Haus), majadena, koolina (als Schule), koolidena
Translativ: majaks (wird zum Haus), majadeks, kooliks, koolideks
Terminativ: majani (bis zum Haus), majadeni (bis zu den Häusern), koolini, koolideni
Komitativ: majaga (mit dem Haus), majadega (mit den Häusern), kooliga, koolidega

Wortschatz

Deutlich mehr als andere finno-ugrische Sprachen hat das Estnische durch den Einfluss des Deutschen Ordens im Baltikum Lehnworte aus dem Deutschen übernommen, beispielsweise riik - Staat (vgl. finnisch valtakunta), müts - Mütze (vgl. finnisch lakki), kä&auuml;rid - Schere (vgl. finnisch sakset), vürts - Gewürz (vgl. finnisch mauste). Andere beliebte Entlehnungen aus dem Deutschen sind reisiböroo und reklaamibüroo.

Sprachpolitik im 20. Jahrhundert

Am Anfang des 20. Jahrhundert wirkte noch die vom Zaren Alexander III. erzwungene Russifizierung nach, die russischen Schulunterricht an den höheren Schulen im Baltikum vorgeschrieben hatte. Mit der Unabhängigkeit ab 1918 wurde der russische Einfluss zugunsten eines Auflebens estnischer Kultur zurückgedrängt. Im Jahre 1934, zur Zeit der ersten estnischen Unabhängigkeit, sprachen mindestens 88 % der Bevölkerung Estlands Estnisch, die meisten Bevölkerungsteile, welche Russisch als Muttersprache sprachen, lebten in jenem Gebiet, welches während des Zweiten Weltkrieges an Russland verloren wurde. Während der Sowjet-Zeit war die estnische Sprache einer gezielten Politik der Sprachunterdrückung unterworfen, die letztlich durchaus zum Linguizid hä:tte führen können, wenn Estland nicht 1991 erneut unabhängig geworden wäre. So wurde zwischen 1940 und 1990 durch gezielte Förderung der Einwanderung Estnisch stark zurückgedrängt (1990 gab es gerade noch 63 % Estnischsprachige in Estland). Darüber hinaus wurde die estnische Sprache gezielt aus der Öffentlichkeit verdrängt und das Russische zur von allen Teilen der Bevölkerung beherrschten Sprache gemacht, sodass die Beherrschung des Estnischen für Nicht-Esten keinen praktischen Wert mehr hatte, zumal Russisch auch Amtssprache war. Es bedurfte großer Anstrengungen um diesen Zustand zumindest teilweise wieder rückgängig zu machen. Am 1. Mai 2005 beherrschten 91 % der Bevölkerung Estnisch. Seit dem 1. Mai 2004 ist Estnisch eine der Amtssprachen in der EU. Inzwischen ist der Erwerb der Staatsbürgerschaft an die Beherrschung der estnischen Sprache gekoppelt. Dies sorgt für Unmut bei der russischen Minderheit, die sehr unwillig ist, Estnisch zu lernen.

Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Estnische Sprache aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.